1. Der Schein: Glanz, Tourismus und Selbstinszenierung

Österreich – das Land der Musik, der Berge, der Kultur. Ein Land, das sich nach außen hin so gerne als harmonisches Idyll präsentiert. Wien glänzt im Schein des Tourismus, Salzburg lebt von der Mozart-Mythologie, Tirol verkauft Alpenromantik, und im Burgenland schmeichelt sich der Wein an die Sonne. Die Bilder sind perfekt – gepflegte Altstädte, prunkvolle Opernhäuser, Festspiele, Kaffeehäuser, Heurige.

Doch hinter den Kulissen dieses kulturellen Schauspiels offenbart sich 2025 ein Land, das zunehmend an innerer Leere leidet. Die Fassaden glänzen, aber sie sind oft bloß Kulisse. Österreich ist zum Potemkin’schen Land geworden – nach außen prachtvoll, nach innen bröckelnd. Die Gesellschaft inszeniert sich auf Instagram, TikTok und in den ORF-Talkshows als modern, kritisch, tolerant und europäisch – während sie im Inneren erstarrt, kontrolliert und ängstlich wirkt.


2. Der Alltag: Stillstand in Perfektion

Hinter den Fassaden brodelt eine Realität aus Bürokratie, Trägheit und Selbstzufriedenheit. Der Beamtenstaat lebt, als hätte es die Digitalisierung nie gegeben. Formulare werden ausgedruckt, abgestempelt, archiviert. Innovation wird verwaltet, nicht geschaffen. Jede Idee, die über das Gewohnte hinausgeht, wird mit der österreichischen Variante des Totschlagarguments erstickt: „Des hamma no nia so g’macht.“

Die Gesellschaft lebt im Modus des Beharrens – nicht aus bösem Willen, sondern aus tief verwurzelter Angst vor Veränderung. Der Österreicher ist kein Rebell, sondern ein Arrangeur. Er findet Schlupflöcher, Übergangslösungen, Umwege. Das macht ihn überlebensfähig – aber auch unfähig, große Würfe zu wagen.

Während andere Länder neue Industrien aufbauen – künstliche Intelligenz, grüne Energie, smarte Mobilität – diskutiert Österreich noch über den Genderstern, den Pendlerausgleich und die Sonntagsruhe.


3. Die Politik: Theater ohne Handlung

Österreichs politische Klasse spiegelt diese Haltung wider. Parteien werden geführt wie Theaterensembles – mit wechselnden Hauptdarstellern, festgelegten Rollen und vorhersehbaren Dialogen. Die Bühne ist voll, aber das Drehbuch leer.

Die eine Hälfte inszeniert sich als Verteidiger der kleinen Leute, die andere als Bewahrer der Vernunft. Beide eint, dass sie vor allem sich selbst verwalten. Die Sprache der Politik ist zur Kunst der inhaltslosen Empörung geworden – präzise kalkuliert, um Emotionen zu schüren, nicht Lösungen zu bieten.

Die größten politischen Leistungen der letzten Jahre bestanden im Verhindern, nicht im Gestalten. Reformen scheiterten an parteipolitischen Eitelkeiten. Minister kommen und gehen, doch die Ministerien bleiben gleich – unbeweglich, hierarchisch, selbstreferenziell.


4. Die Generation der Inszenierten

Die nachrückende Generation – nennen wir sie „Generation Selfie“ – wächst in einer paradoxen Welt auf: Sie hat Zugang zu allem Wissen, aber kaum eine Haltung dazu. Sie inszeniert sich perfekt, doch sie erschafft nichts Bleibendes.

Influencer ersetzen Forscher, Empörung ersetzt Argumentation, Aufmerksamkeit ersetzt Leistung. Der Lebenssinn verlagert sich vom Tun zum Darstellen. Viele junge Menschen wollen lieber gesehen werden, als etwas zu sehen.

Das österreichische Bildungssystem trägt seinen Teil dazu bei: Es belohnt Anpassung statt Kreativität. Schüler lernen, Prüfungen zu bestehen, nicht Probleme zu lösen. Universitäten lehren Theorien, aber nicht Verantwortung.

Das Resultat ist eine Generation, die zwar gebildet ist, aber orientierungslos. Sie sucht Sicherheit im öffentlichen Dienst oder in Subventionen – anstatt Risiken zu wagen und Neues zu schaffen.


5. Der soziale Kitt löst sich

Während die Oberschicht in ihren sanierten Altbauwohnungen über Nachhaltigkeit philosophiert, kämpfen die unteren Schichten mit explodierenden Mieten, steigenden Lebenshaltungskosten und dem Gefühl, abgehängt zu sein.

Das soziale Netz Österreichs funktioniert – noch. Aber es beginnt zu reißen. Migration wird nicht gestaltet, sondern verwaltet. Integration findet kaum statt. In den Vorstädten entstehen Parallelwelten, in denen staatliche Strukturen kaum mehr präsent sind.

Der Mittelstand, lange das Rückgrat des Landes, verliert seine Kraft. Wer arbeitet, wird durch Steuern und Abgaben bestraft, wer nichts wagt, wird belohnt. Der Leistungsgedanke – einst Grundpfeiler des österreichischen Aufstiegs – ist einer Mentalität des Minimalismus gewichen: Hauptsache, es läuft.


6. Kultur und Medien: Das Imperium des Gleichklangs

Die Medienlandschaft – einst Garant für Meinungsvielfalt – ist heute weitgehend homogenisiert. Kritik wird geduldet, solange sie systemkonform bleibt. Investigativer Journalismus ist zur Ausnahme geworden. Stattdessen dominiert die Kultur des Gefälligen – PR-Interviews, Hofberichterstattung, Pseudodebatten.

Die öffentlich-rechtlichen Sender sind zu Erziehungsanstalten der Mittelmäßigkeit verkommen. Kreative Köpfe wandern ab, weil sie wissen: Hier zählt nicht, was du kannst, sondern wen du kennst.

In der Kunst herrscht ein ähnliches Bild: Subventionierte Selbstbeschäftigung ersetzt mutige Experimente. Wer provoziert, wird nicht gefördert, sondern gecancelt. Österreich verliert langsam seine kulturelle Seele – den Mut zur Irritation, den Humor der Widersprüchlichkeit, den Stolz auf Eigenwilligkeit.


7. Wirtschaft: Vom Unternehmergeist zum Förderwesen

Die Wirtschaft lebt mehr von Förderungen als von Ideen. Jeder zweite Unternehmer kennt mehr Förderrichtlinien als Märkte. Innovation wird beantragt, nicht entwickelt. Bürokratie erstickt Unternehmergeist.

Während Start-ups in Skandinavien und der Schweiz international skalieren, bleiben österreichische Projekte oft im nationalen Förderlabyrinth stecken. Der Staat will „innovationsfreundlich“ sein – und produziert doch vor allem Abhängigkeit.

Die wahre Elite Österreichs – jene, die anpackt, riskiert, schafft – arbeitet meist im Stillen. Ihre Geschichten kommen selten in den ORF.


8. 2030: Zwei mögliche Zukünfte

Wohin also geht dieses Land? Die Antwort hängt von der Entscheidung ab, die Österreich zwischen 2025 und 2030 trifft:

Szenario 1: Weiter wie bisher
Das Land bleibt in seiner Wohlfühlblase. Die Fassaden glänzen weiter, der Tourismus boomt, die Politik verwaltet den Status quo. Doch innerlich vergreist Österreich – wirtschaftlich, geistig, moralisch. Junge Talente wandern aus, alte Strukturen erstarren. 2030 ist Österreich schön wie eh und je – aber ohne Seele.

Szenario 2: Die Rückkehr zum echten Können
Ein Teil der Gesellschaft – Unternehmer, Lehrer, Künstler, Bürger – erkennt den Ernst der Lage. Sie befreien sich von der Selbstinszenierung und beginnen, wieder echte Werte zu schaffen: Leistung, Ehrlichkeit, Kreativität, Gemeinsinn. Die Politik folgt, zögerlich, aber immerhin. Digitalisierung wird nicht länger als Bedrohung, sondern als Werkzeug verstanden. Bildung wird neu gedacht – praxisnah, mutig, lebensnah.

Dieses Szenario würde Österreichs alten Glanz in neue Substanz verwandeln.


9. Fazit: Vom Potemkin’schen Land zur echten Republik

Österreich steht an einem Wendepunkt. Es kann weiterhin die schönsten Fassaden Europas pflegen – oder beginnen, das Fundament zu erneuern.

Die Zukunft dieses Landes hängt nicht von den Touristenströmen, nicht von EU-Fonds und nicht von Wahlversprechen ab. Sie hängt davon ab, ob die Menschen den Mut finden, wieder zu gestalten statt zu spielen.

Das wahre Österreich war nie das der Fassade, sondern das des Könnens, der Handwerker, Denker, Ingenieure, Musiker und Forscher, die mehr wollten als bloßen Applaus.

Wenn Österreich diesen Geist wiederentdeckt, dann wird das Land 2030 nicht nur glänzen – sondern strahlen von innen.


Josef David – 2025
„Österreich wird erst dann wieder groß, wenn es aufhört, sich selbst zu spielen.“

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