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Der Elefant im Raum – Eine satirische Kurzgeschichte
In einem kleinen, beschaulichen Dorf namens Schweigenheim lebten die Menschen friedlich und abseits von jeglichem Trubel. Hier kannte jeder jeden, und die Nachbarn waren nicht nur Nachbarn, sondern auch das gesamte soziale Netzwerk, das man brauchte. Allerdings gab es da ein ganz großes, grauhaariges Problem, über das keiner sprechen wollte.
Eines Tages kam ein Zirkus in die Stadt – stattdessen war es ein mächtiger Elefant, der beim Schlamassel aus der Transportbox gerutscht war. Doch anstatt Panik auszubrechen, schien jeder Einwohner von Schweigenheim sich in eine Art kollektivem Schweigen zu verlieren. Der Elefant begutachtete entspannt die Umgebung und machte es sich mitten auf dem Marktplatz bequem.
Irgendwie war er nicht nur unglaublich groß, sondern auch erstaunlich unübersehbar. Die alten Damen an der Kaffeebar schüttelten den Kopf und flüsterten etwas über das schlechte Wetter, während die Kinder beflügelt mit ihren kleinen Drachen über den Platz sausten – direkt neben dem Elefanten, dessen Ohren im Wind flatterten.
Hans, der Bürgermeister, war der Erste, der das „Problem“ ansprach – wenn auch zögerlich. „Also, ähm, es scheint… da ist ein Elefant in unserer Stadt“, begann er stammelnd und drückte nervös seine Brille auf der Nase zurecht.
„Das sieht ja fast nach einer Wahlkampfveranstaltung aus!“, rief die alte Fräulein Ziegler, die stets mit allem unzufrieden war. „Wieso kümmern wir uns nicht zuerst um die Straße? Die braucht eine Reparatur!“
„Ja, ja! Straßen sind wichtig!“, stimmte Herr Müller zu, während er versuchte, den Elefanten mit einem Stück Brot zu füttern, als wäre es ein riesiger Hund.
Die Dorfbewohner diskutierten heftig über alles Mögliche – von der Notwendigkeit neuer Blumentöpfe bis hin zu den neuesten Klatschgeschichten aus der Nachbarstadt. Aber der Elefant, der eigentlich das größte Thema war, wurde wie ein Schweinchen in der Mitte des Raums behandelt.
Fräulein Ziegler, das sind ihre unmissverständlichen, durchdringenden Augen hinter ihrer dicken Hornbrille, fing an, über das kommende Straßenfest zu sprechen, und alle stimmten eifrig ein. „Wir müssen uns auf die Vorbereitungen konzentrieren! Der Elefant kann warten!“
Der Elefant jedoch wurde immer größer – vor allem, weil jetzt ein paar ungeschickte Touristen vorbeikamen und einige Instagram-Bilder vor dem kolossalen Tier machten. Das schien das Problem noch mehr zu verdeutlichen. Aber die Dorfbewohner taten einfach so, als ob es nicht passierte, schüttelten höflich die Köpfe und sagten: „Alles ist in bester Ordnung! Wir haben genug Probleme ohne diesen großen Kerl!“
Nach ein paar Tagen, an denen sich der Elefant niedergelassen hatte, wurden die Gespräche darüber, wie man den Elefanten zähmen sollte, immer unüberhörbar. Es gab Ideen mit Zäunen, mit Baumstämmen und sogar mit einer musikalischen Aufführung, um die Situation zu beleben.
Doch als Herr Müller eines Morgens versuchte, dem Elefanten ein Lied vorzusingen, um ihn zu unterhalten, geschah das Unvermeidliche: Der Elefant fand das Gesang so unerträglich, dass er einfach das Weite suchte – was bedeutete, dass er durch die Dorfstraße in die Freiheit lief, während jeder Dorfbewohner plötzlich den Mut fand, ihn zu verfolgen.
Es stellte sich heraus, dass der Zirkus gar nicht weit war, und die Akteure hatten bereits nach dem Elefanten gesucht. Als sie schließlich zusammenkamen, waren die Dorfbewohner in einer Baumschule versammelt, während der Elefant fröhlich zur Musik tanzte, die aus dem fahrenden Wagen kam.
Am Ende kehrte der Elefant zum Zirkus zurück, die Dorfbewohner aber waren erleichtert – nicht nur, weil sie das wilde Tier losgeworden waren, sondern weil sie endlich wieder in den gewohnten gewaltfreien Alltag zurückkehren konnten. Der Elefant war für sie nur noch ein Schatten – ein gewaltiges, unbeholfenes Mysterium, von dem im Nachhinein jeder meinte: „Das war ja schwer zu ignorieren!“
Die Moral dieser Geschichte? Manchmal sind die größten Elefanten die in unseren Gesprächen – die Dinge, die wir vermeiden, die wir fürchten. Und wie jeder weiß, wird das Schweigen immer lauter, wenn der Elefant im Raum nicht angesprochen wird. Schließlich war das letzte, was das Dorf wirklich benötigte, ein Zirkus voller Elefanten voller Ungesagtem – oder einfach ein bisschen ehrlichere Kommunikation.