Österreich: Der TIEFE STAAT und seine “Hawerer” Netzwerke
Parteipolitischer Einfluss und ‘Tiefer Staat’ in Österreich
Einleitung: Der Begriff „Tiefer Staat“ in Österreich
Unter einem „tiefen Staat“ versteht man die Vorstellung von mächtigen Netzwerken innerhalb der Staatsstruktur, die im Verborgenen und ohne demokratische Legitimation politischen Einfluss ausübendermaerz.at. Der Ausdruck ist unscharf definiert und impliziert illegitime Macht, verdeckte Strukturen und eine Elite, die eigene Ziele jenseits der öffentlichen Kontrolle verfolgtdiepresse.com. In der Praxis wird der Begriff in Österreich unterschiedlich verwendet – teils als populistische Kampfparole, teils als Synonym für Parteibuchwirtschaft und Vetternwirtschaft. Bisher sprach man im Deutschen eher von einem „Schattenstaat“ oder „Staat im Staat“diepresse.com. Erst in den letzten Jahren hat das Schlagwort „tiefer Staat“ – ursprünglich etwa aus der Türkei („derin devlet“) oder durch US-Verschwörungstheorien popularisiert – Eingang in die heimische politische Debatte gefundendiepresse.comdiepresse.com. Ausgelöst wurde dies vor allem durch die FPÖ, die 2025 angekündigt hat, in einem neuen Untersuchungsausschuss den vermeintlichen „tiefen Staat“ der ÖVP im Innenministerium zu durchleuchtendiepresse.comdiepresse.com. Kritiker warnen, der Begriff sei historisch belastet und diene rechtsextremen Verschwörungstheorien, da er Misstrauen gegenüber Institutionen schürediepresse.comdiepresse.com. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker hingegen beharrte im Parlament, der „tiefe Staat“ sei „keine Theorie, sondern eine reale Gefahr für die demokratische Grundordnung“diepresse.com – für ihn also eine legitime Beschreibung versteckter Machtstrukturen und eines Demokratiedefizits. Tatsächlich gibt es in Österreich zahlreiche Fälle parteipolitisch motivierter Postenbesetzungen, informeller Absprachen und machterhaltender Netzwerke. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit die großen Parteien – insbesondere ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS – mit dem Aufbau oder der Förderung eines solchen „tiefen Staates“ in Verbindung gebracht werden, unter Einbeziehung von öffentlichen Debatten, Skandalen, Zeugenaussagen und unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs. (Stand: 2025)
Parteipolitische Netzwerke und Machtmissbrauch in Staat und Verwaltung
Österreich blickt auf eine lange Tradition der Proporz- und Parteibuchwirtschaft zurück. Seit der Zweiten Republik teilten die Großparteien ÖVP und SPÖ jahrzehntelang einflussreiche Posten in Ministerien, Behörden, staatlichen Betrieben und Medien unter sich auf – oft informell und abseits öffentlicher Kontrolleorf.atorf.at. Dieses System, im Volksmund als “Freunderlwirtschaft” oder “Filz” bezeichnet, wurde ursprünglich mit historischen Umständen gerechtfertigt (etwa um nach 1945 ehemalige Nationalsozialisten aus wichtigen Positionen fernzuhalten und das gegenseitige Misstrauen zwischen ÖVP und SPÖ zu überwinden)orf.at. Doch es hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt, obwohl ein solches Verständnis von Demokratie und Patronagepolitik heute als veraltet giltorf.atorf.at. Die Existenz geheimer Koalitionsabsprachen – sogenannter Sideletter – zur Aufteilung hochrangiger Positionen bestätigt, dass alle Regierungsparteien diese Praxis mittrugenorf.atorf.at. So wurden etwa in den Sidelettern sowohl der ÖVP-FPÖ-Regierung 2017–2019 als auch der ÖVP-Grünen-Regierung ab 2020 detailliert die Besetzungen von Spitzenposten – von Höchstgerichten über Nationalbank und ORF bis zu staatsnahen Unternehmen – parteipolitisch ausgehandeltorf.at. Solche Absprachen blieben der Öffentlichkeit lange verborgen und kommen erst nachträglich ans Licht (etwa Anfang 2022 durch gemeinsame Recherchen von ORF und Profil)orf.atorf.at. Die Politikwissenschafter Filzmaier und Sickinger stellen fest, dass weite Teile der Bevölkerung – wohl nicht zu Unrecht – überzeugt sind, dass „praktisch alle Parteien“ derartige Postenschacherei betreibenorf.at. Gerade weil alle mitmachen, fehlt oft ein Korrektiv: Keine Partei muss einen ernsthaften Wählerrückgang wegen solcher Vorgänge fürchten, sodass echte Reformen zur Transparenz und Entpolitisierung ausbleibenorf.atorf.at.
Vor diesem Hintergrund sprechen einige Beobachter von einem „tiefen Staat“ österreichischer Prägung, der weniger ein monolithisches Komplott einer geheimen Elite ist, sondern eher ein Geflecht an Parteinetzwerken in Institutionen, das demokratische Prinzipien unterläuft. Dieses Geflecht zeigt sich in verschiedenen Bereichen:
- Öffentliche Verwaltung und Polizei: Dominanz bestimmter Parteianhänger in Ministerien, Polizeiführung und Nachrichtendiensten, oft begünstigt durch jahrzehntelange Regierungsbeteiligung einer Partei (z. B. das Innenministerium fast immer unter ÖVP-Kontrolle).
- Justiz und Aufsichtsbehörden: Versuche, Staatsanwälte, Gerichtspräsidenten oder Ermittlungsbehörden durch parteinahe Personen zu besetzen oder in ihrer Arbeit zu beeinflussen.
- Staatsnahe Unternehmen: Politische Besetzung von Vorstandsposten und Aufsichtsräten in Unternehmen mit Staatsbeteiligung (Stichwort Postenschacher in staatsnahen Betrieben, von der Casino AG bis zu den Bundesbahnen).
- Medien und Öffentlichkeitsarbeit: Nutzung staatlicher Inserate (Werbeschaltungen) und parteinaher Medien, um Berichterstattung zu steuern oder genehme Narrative zu fördern.
- Informelle Netzwerke: Clubs, Bünde, Thinktanks oder Vereine im Dunstkreis der Parteien, die personelle und ideologische Netzwerke bilden (etwa Studentenverbindungen beim FPÖ-Nachwuchs, parteinahe Akademien, Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbände).
Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte und Beispiele für solche Strukturen nach Parteien gegliedert dargestellt, gefolgt von übergreifenden Betrachtungen zur Rolle von Medien/NGOs und zur Deutung des Begriffs „tiefer Staat“ im politischen Diskurs.
ÖVP: Vorwürfe eines „schwarzen Netzwerks“ im Staat
Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) – traditionell als “schwarze” Partei bezeichnet (seit 2017 in der Außendarstellung türkis) – sieht sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, ein weitreichendes Machtnetzwerk in staatlichen Institutionen geknüpft zu haben. Insbesondere ihre langjährige Kontrolle des Innenministeriums (zuständig für Polizei und Verfassungsschutz) ist im Fokus. Linke Kritiker und Konkurrenzparteien vermuten hier einen „schwarzen tiefen Staat“ – also ein informelles Netz von ÖVP-Vertrauten, das Polizei, Geheimdienst und Teile der Verwaltung loyal auf Parteilinie hältdermaerz.atdermaerz.at. Tatsächlich zeigen veröffentlichte Chat-Protokolle und Untersuchungsergebnisse aus den letzten Jahren ein beunruhigendes Bild: In der Ära der ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (2011–2016) und ihres Nachfolgers Wolfgang Sobotka wurden Führungspositionen in Polizei und Behörden gezielt mit Parteigängern besetzt, während unliebsame Bewerber ausgebremst wurden.
Ein Beispiel ist die Besetzung der Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien: Hier setzten „ÖVP-Kreise mit Hilfe des Innenministeriums“ durch, dass der Posten nicht an die bestqualifizierten Bewerberinnen, sondern an eine der ÖVP nahestehende Juristin gingtagesspiegel.de. In geleakten „BMI-Chats“ zwischen Mikl-Leitners Kabinettschef Michael Kloibmüller und Parteifreunden finden sich zahlreiche Hinweise auf Interventionen – „Filz, Postenschacher, Ministeriums-Interventionen – immer zugunsten der ÖVP“ fasste der Tagesspiegel den Inhalt der Chat-Nachrichten zusammentagesspiegel.detagesspiegel.de. So beschwerte sich etwa ein ÖVP-Politiker, dass in Salzburg eine Verfassungsschutz-Stelle von SPÖ-nahen Kandidaten besetzt worden sei. Kloibmüllers Reaktion laut Chatprotokoll: „Merk dir die Arschlöcher und wir knöpfen sie uns einzeln vor.“tagesspiegel.de Dieser Satz – in etwa „Wir merken uns diese Typen und werden sie uns einzeln vorknöpfen“ – zeigt die Geisteshaltung: missliebige Beamte sollten bei Gelegenheit entfernt und durch eigene Leute ersetzt werden. In anderen Fällen (etwa bei höheren Polizei-Posten) konnte die ÖVP offenbar erfolgreich ihren Einfluss geltend machen; Kloibmüller erhielt in einem Chat nach einer gelungenen Personalrochade ein begeistertes „Nochmals DANKE – du bist a Wahnsinn!“tagesspiegel.de. Diese Enthüllungen, die 2017 enden, legen nahe, dass führende ÖVP-Politiker ihr Amt nutzten, um systematisch “die eigenen Leute” zu förderntagesspiegel.detagesspiegel.de – ein Vorwurf, den auch Beobachter in Österreich als demokratiepolitisch alarmierend bezeichnen. Douglas Hoyos von den NEOS etwa kritisierte, solche parteipolitischen Netzwerke seien “schädlich für die Demokratie als solche“tagesspiegel.detagesspiegel.de.
Ein weiterer brisanter Bereich ist der Verfassungsschutz (BVT). Da das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung direkt dem Innenminister untersteht, galt es lange als von ÖVP-nahen Strukturen durchzogen. 2018, nach Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition, vermutete der neue FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, im Nachrichtendienst würden „schwarze Machenschaften“ laufen – sprich: ÖVP-gesteuerte Umtriebe im Hintergrundkatapult-magazin.de. Kickl ließ daraufhin im Februar 2018 das BVT von einer Sondereinheit stürmen und durchsuchen, angeblich um belastendes Material sicherzustellenkatapult-magazin.de. Kritiker warfen Kickl vor, er wolle unbequeme Beamte entfernen und den Dienst „blau“ (FPÖ-treu) einfärben; Kickl argumentierte, er ziele auf bestehende ÖVP-Seilschaften. Der BVT-Skandal führte jedenfalls zum Chaos im Geheimdienst: Internationale Partnerdienste (CIA, MI5, BND etc.) froren die Kooperation mit Österreich vorübergehend ein, da die Behörde als unsicher galtkatapult-magazin.de. Die Affäre wurde 2019 in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss untersucht. Im Ergebnis zeigte sich ein Bild gegenseitigen Misstrauens: FPÖ-Repräsentanten verdächtigten einen “ÖVP-Tiefenstaat” im Sicherheitsapparat, während umgekehrt vielen die FPÖ-Aktion als Versuch erschien, selbst einen Einflussapparat aufzubauen – ein Lehrstück dafür, wie der Vorwurf “tiefer Staat” politisch instrumentalisiert werden kann.
Hinzu kommen zahlreiche Korruptionsaffären unter ÖVP-Verantwortung, die als Belege für verdeckte parteistaatliche Netzwerke gewertet werden. Besonders die Ära von Sebastian Kurz (ÖVP), Kanzler 2017–2019 und 2020–2021, geriet ins Visier der Korruptionsermittler. Ein zentrales Element ist der sogenannte “Türkis-Blau-Postenschacher”: Aus einem geheimen Sideletter der Koalition Kurz/Strache (ÖVP/FPÖ) ging hervor, wie beide Parteien detailgenau Posten und Einflusszonen aufteilten. So wurde z.B. für das Amt der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs festgelegt: bis Ende 2019 eine FPÖ-Kandidatin (Brigitte Bierlein), ab 2020 ein ÖVP-Mann (Christoph Grabenwarter)orf.at. Selbst Richterstellen, deren Nominierung eigentlich dem Parlament obliegt, wurden im Sideletter parteipolitisch punziert – etwa war beim designierten VfGH-Richter Andreas Hauer handschriftlich “(FPÖ)” vermerktorf.at. Die Existenz solcher Geheimpapiere war zwar Brancheninsidern bekannt, aber der konkrete Inhalt blieb der Öffentlichkeit bis 2022 verborgenorf.atorf.at. Erst als der FPÖ-Klubdirektor 2022 im Zuge von Ermittlungen das Dokument aus dem Tresor holen musste, wurde diese „Zeitgeschichte“ publikorf.at. Kurz’ Sprecher verteidigte beschwichtigend, solche Abkommen seien „üblich“ – es habe sie „genauso zwischen ÖVP und Grünen gegeben und zuvor wohl auch mit der Sozialdemokratie“orf.at.
Sebastian Kurz selbst sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, ein eigenes “System Kurz” etabliert zu haben – ein enges Netzwerk von Getreuen, das die öffentliche Verwaltung, Medien und Finanzierung zu seinen Gunsten nutzte. So wurde im Oktober 2021 bekannt, dass Kurz’ Umfeld mit Steuergeld geschönte Umfragen und positive Medienberichte erkauft haben sollkatapult-magazin.dekatapult-magazin.de. Umfragen-Affäre („Beinschab-Tool“): Ab 2017 wurden über das Finanzministerium (unter ÖVP-Führung) von Meinungsforscherin Sabine Beinschab manipulierte Umfragen erstellt, die Kurz in ein besseres Licht rückten; veröffentlicht wurden sie in der Tageszeitung Österreich, begleitet von wohlwollender Berichterstattung auf oe24.tv. Im Gegenzug schaltete das Ministerium üppige Inserate in eben jener Zeitung – bezahlt aus Steuermittelnkontrast.atkontrast.at. Laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wurden so rund 2 Millionen Euro zweckentfremdet, um die ÖVP und Kurz’ Aufstieg medial zu unterstützenkontrast.at. Dies war Teil des „Projekts Ballhausplatz“, eines Masterplans, mit dem Kurz ab 2016 die ÖVP übernahm und auf Rechtskurs brachtekatapult-magazin.dekatapult-magazin.de. Thomas Schmid, ein enger Kurz-Vertrauter (Generalsekretär im Finanzministerium und später Chef der Staatsholding ÖBAG), spielte dabei eine Schlüsselrolle. Er bündelte im Hintergrund die Fäden – und ist später zum wichtigsten Kronzeugen der Justiz geworden. Schmid legte 2022 umfassende Geständnisse ab und erhielt im Herbst 2024 offiziell den Kronzeugenstatuskontrast.atkontrast.at. In 15 ganztägigen Einvernahmen zeichnete er laut WKStA ein detailliertes Bild „einer Verflechtung zwischen Österreichs Superreichen und der ÖVP unter Sebastian Kurz“kontrast.atkontrast.at. Im Zentrum stehe Kurz selbst; Milliardäre wie Sigi Wolf (Industrieller) oder René Benko (Immobilienunternehmer) hätten im Gegenzug für politische Gefälligkeiten Vorteile erhaltenkontrast.atkontrast.at. Schmid bestätigte, dass Kurz alle illegalen Maßnahmen zumindest kannte, wenn nicht initiiert hat: „Sebastian Kurz wusste nicht nur Bescheid – er gab die Order aus.“kontrast.atkontrast.at Besonders brisant ist Schmids Chat-Aussage an einen Kollegen: „Du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!“ – in grober Übersetzung: „Wir im ÖVP-Regierungsapparat dienen als Huren für die Reichen.“kontrast.at Diese drastische Formulierung aus erster Hand unterstreicht den Eindruck eines Netzwerks aus Politik und Geldelite, das hinter den Kulissen Deals zu beiderseitigem Nutzen abschließt – zum Schaden der Allgemeinheit.
Insgesamt ermittelt die WKStA in einem ganzen Verfahrenskomplex ÖVP gegen zahlreiche (ehemalige) Spitzenpolitiker, Ministeriale und Berater im Umfeld Kurz (Stichworte: Inseratenaffäre, Falschaussage vor dem U-Ausschuss, Casinos-Affäre etc.). Ab März 2022 beleuchtet ein parlamentarischer ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss systematisch diese Fälle. Pikant ist, dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) – selbst durch veröffentlichte Chats belastet – dennoch den Vorsitz des U-Ausschusses führttagesspiegel.de. Die Opposition sieht darin eine Behinderung der Aufklärung. Trotzdem förderte die Untersuchung in den letzten zwei Jahren immer neue Details des „türkisen Systems“ zutage. Die ÖVP-Führung weist alle Vorwürfe eines „tiefen Staates“ zurück. Sie argumentiert, es handle sich um Einzelfälle oder Konstruktionen politischer Gegner. So bezeichnete ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti die FPÖ-Vorwürfe als „Verschwörungstheorie“ und „Wirrwarr“diepresse.comdiepresse.com. Fakt ist jedoch, dass die Justiz mittlerweile mehrere Anklagen erhoben hat (z.B. in der Umfragen-Causa) und dass das öffentliche Vertrauen in die Unvoreingenommenheit staatlicher Entscheidungen schwer erschüttert wurde. Selbst konservative Medien fordern inzwischen Reformen: “Man sollte diskutieren, wie man Postenbesetzungen und Verwaltungsvorgänge aus dem Griff der Parteipolitik befreien kann”, kommentierte Der Standard 2022 angesichts der BMI-Chatstagesspiegel.de.
Zusammengefasst steht die ÖVP aktuell im Ruf, durch langjährige Regierungsbeteiligung – speziell im Inneren, Finanz- und Kanzleramt – ein umfassendes Netzwerk loyaler Personen installiert zu haben, das von Polizeispitze über Ministerialbürokratie bis zu staatsnahen Unternehmen reicht und der Machtsicherung dient. Diese Strukturen werden nun teils offen gelegt und strafrechtlich aufgearbeitet. Aus Sicht der FPÖ und mancher Kritiker manifestiert sich hier ein “tiefer Staat” der ÖVP, gegen den man sich „mit politischer Notwehr“ wehren müssediepresse.comdiepresse.com. Allerdings, so wird noch zu zeigen sein, sind ähnliche Vorwürfe auch gegenüber anderen Parteien erhoben worden.
SPÖ: „Roter Filz“ und Netzwerke der Sozialdemokratie
Auch die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) blickt auf eine Geschichte weitreichender Netzwerke in Staat und Gesellschaft zurück – häufig als „roter Filz“ kritisiert. Insbesondere in ihren Hochburgen (etwa der Stadt Wien) sowie in der Zeit der Allein- bzw. großen Koalitionen (1970er bis 1990er Jahre) baute die SPÖ ein Geflecht aus personellen Verflechtungen auf, das Kritiker als sozialdemokratischen „tiefen Staat“ bezeichnen. Historisch aufschlussreich ist der Fall Lucona in den 1970er/80er Jahren: Ein Industrieskandal um Versicherungsbetrug enttarnte damals ein informelles Netzwerk hochrangiger SPÖ-Politiker, die einen Freund aus dem Milieu vor Strafverfolgung schützen wollten. Der Unternehmer Udo Proksch, ein schillernder Wiener Society-Löwe, versenkte 1977 das Frachtschiff “Lucona” mit einer Bombe, um Versicherungsgeld zu kassieren, und sechs Menschen kamen ums Leben. Proksch hatte jedoch exzellente Verbindungen in die SPÖ-Regierung: Er war Sponsor des “Club 45”, eines elitären Zirkels einflussreicher SPÖ-Grandentaz.de. Zu diesem “roten Logenclub” gehörten u.a. Nationalratspräsident Leopold Gratz, Innenminister Karl Blecha und Ex-Verteidigungsminister Karl Lütgendorftaz.de. Lütgendorf besorgte seinem Freund Proksch sogar 100 kg Sprengstoff – jener Sprengstoff, mit dem die Lucona vermutlich versenkt wurdetaz.de. Als die Sache 1988/89 durch einen Untersuchungsausschuss aufflog, erschütterte sie die Republik: Innenminister Blecha musste zurücktreten, Gratz trat als Parlamentspräsident abtaz.detaz.de. Die Affäre belegte, dass SPÖ-Spitzen politisches Amt und Freunde-Begünstigung vermengt hatten – bis hin zur Beeinflussung von Justiz und Staatspolizei, die Proksch jahrelang gewähren ließentaz.detaz.de. In der TAZ hieß es damals: Proksch, “mit dem SPÖ-Filz bestens befreundet”, habe offenbar seine Beziehungen genutzt, um sich der Schlinge zu entziehentaz.de. Diese Verfilzung von Partei und Staatsapparat – inklusive illegaler Praktiken der Staatspolizei, die in der Affäre ans Licht kamentaz.detaz.de – gilt als frühes Lehrbeispiel eines “Staats im Staate” unter SPÖ-Patronanz.
Neben solchen Extremfällen der Vergangenheit wird der SPÖ vor allem in Wien der Aufbau eines quasi-parallelen Machtgefüges nachgesagt. Wien wird seit 1945 ununterbrochen von der SPÖ regiert und die Partei hat in der Stadtverwaltung und in städtischen Unternehmen eine dominante Stellung. Konservative Kritiker sprechen von der „Wiener Blase“ oder einem „Konglomerat aus Geld, Macht und linker Politik“dermaerz.atdermaerz.at. Dazu zählen dichte personelle Querverbindungen zwischen der Stadtregierung, Kulturinstitutionen, Medienhäusern und NGOs, die alle von der Stadt Wien finanziell gefördert werdendermaerz.at. Im Gegenzug, so der Vorwurf, betreiben diese Institutionen oft eine progressive Agenda im Sinne der SPÖ – von Klimapolitik über Diversity bis Sozialthemen – und dominieren damit den öffentlichen Diskurs, während konservative Stimmen in Wien wenig Gehör fändendermaerz.atdermaerz.at. Tatsächlich investiert die Stadt Wien enorme Summen in Medienkooperationen und Werbung: Unter Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) gibt Wien mehr Geld für Inserate aus als alle anderen Bundesländer zusammenwien.gruene.at. Allein 2022 flossen städtische Werbeausgaben von über 20 Millionen Euro vor allem an reichweitenstarke Boulevardmedien – ein Budget, das London, Paris und Berlin (zusammen über 25 Mio. Einwohner) in Summe nicht erreichenwien.gruene.at. Die Wiener Grünen – selbst bis 2020 in Koalition mit der SPÖ – monierten, die SPÖ habe immer wieder inoffizielle Kanäle genutzt, um trotz vereinbarter Kürzungen weiterhin Steuergeld “in den Boulevard zu stecken”wien.gruene.at. Der Stadtrechnungshof kritisierte 2023 mangelnde Transparenz und dokumentierte Fälle, wo durch Stückelung in kleineren Beträgen die Veröffentlichungspflicht umgangen wurdewien.gruene.atwien.gruene.at. Kritiker sehen darin eine bewusste Strategie, sich wohlwollende Berichterstattung zu erkaufen bzw. Medien gefügig zu halten – eine Form von systematischer Meinungsbeeinflussung, die einem „tiefen Staat“ nahekommt, insofern staatliche Ressourcen der Machterhaltung der Stadtpartei dienen.
Auch im Bund profitierte die SPÖ lange vom Proporzsystem: In Zeiten der Großen Koalition (SPÖ-ÖVP) wurden Staatsfunktionen häufig doppelt besetzt – je ein roter und ein schwarzer Kandidat –, um das Gleichgewicht zu wahren. Beispielhaft ist der ORF: Bis Ende der 1990er galt es als gegeben, dass die Hälfte der ORF-Spitzenpositionen mit SPÖ-nahen Persönlichkeiten besetzt wurde, wenn die SPÖ den Kanzler stellte. So war etwa Gerhard Zeiler (ORF-Generalintendant 1994–1998) SPÖ-Vertrauter; ihm folgte Monika Lindner unter Schwarz-Blau als ÖVP-nahe Chefin. Im ORF-Stiftungsrat, dem Aufsichtsgremium, sitzen bis heute Vertreter auf Parteiticket. Die Sideletter 2017 und 2020 dokumentieren offen diese Aufteilung: Im türkisen-grünen Sideletter wurde z.B. vereinbart, dass im 35-köpfigen ORF-Stiftungsrat 5 Mitglieder auf ÖVP-Vorschlag und 2 auf Grünen-Vorschlag zu nominieren seienexxpress.at – eine parteipolitische Quote, die de facto auch für SPÖ, FPÖ und die Ländervertreter gilt. Solche parteinahen Gremienbesetzungen nähren die Wahrnehmung, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei Objekt eines parteilichen „Deep State“-Zugriffs (je nach Sicht: früher SPÖ-dominiert, aktuell eher ÖVP-nah besetzt).
Auch die enge Verbindung zwischen SPÖ und Gewerkschaften/Arbeiterkammer wird manchmal unter dem Schlagwort “tiefstaatlich” diskutiert. Die Gewerkschaftsbünde (ÖGB) und die Arbeiterkammer sind formal vom Staat unabhängig, aber traditionell von Sozialdemokraten geprägt und mit der Partei eng verzahnt. SPÖ-Vertreter bekleideten oft Funktionen in diesen Institutionen und umgekehrt. In den 1970er Jahren etwa hatte Bundeskanzler Bruno Kreisky eine “Koalition” mit dem ÖGB, manche sprachen scherzhaft von einer “Sozialpartnerschaft als Nebenregierung”. Für gewöhnlich werden diese Strukturen jedoch nicht als verschwörerischer tiefer Staat, sondern als Bestandteil der Sozialpartnerschaft gesehen – dennoch steckt auch hier ein nicht demokratisch gewähltes Netzwerk (Interessenvertretungen), das erheblichen Einfluss auf Gesetzgebung und Verwaltung ausübt.
Zusammengefasst muss sich auch die SPÖ dem Befund stellen, dass über Jahrzehnte ein System parteilicher Vergünstigungen entstand. Vom “roten Postenschacher” in der verstaatlichten Industrie (Stichwort Verstaatlichten-Skandal 1980er) über Inseraten-Affären (Ex-Kanzler Werner Faymann wurde vorgeworfen, als Infrastrukturminister 2007–08 große ÖBB-Inserate in Boulevardmedien geschaltet zu haben, um sich medialen Rückhalt zu sichern) bis zu Wiener Lokalskandalen (z.B. die Förderung SPÖ-naher Vereine) zieht sich eine Spur, die durchaus Parallelen zu einem “Staat im Staate” aufweist – freilich einem, der von der jeweils regierenden Partei geformt wird.
Während die FPÖ in ihrer Oppositionsrhetorik den “tiefen Staat” primär der ÖVP anlastet (siehe oben), sehen umgekehrt viele Linke und auch manche Journalisten die ÖVP als Gegenspieler zu einem roten Netzwerk: So wird z.B. spekuliert, ÖVP-nahe Kreise (etwa in Niederösterreich zusammen mit dem Raiffeisen-Konzern, einer mächtigen wirtschaftlichen Interessenvertretung) bilden einen Machtblock, dem wiederum das “rote Wien” als linkes Machtzentrum gegenüberstehtdermaerz.atdermaerz.at. Der März schreibt etwa, die Linke lokalisiere den tiefen Staat bei der “engen Verbindung ÖVP Niederösterreich und Raiffeisen” sowie im Innenministeriumdermaerz.atdermaerz.at. Tatsächlich unterhält die ÖVP über Niederösterreichische Landesbanken, Agrarverbände und Wirtschaftskreise eigene Netzwerke – doch der Hegemonieanspruch der SPÖ in Wien bleibt einzigartig. Dieses Spannungsfeld zeigt: Der Begriff “tief Staat” wird in Österreich oft je nach politischem Standpunkt verwendet, um die Verflechtung der jeweils anderen Lager anzuprangern.
Die Grünen: Zwischen Transparenzanspruch und Sideletter-Realität
Die Grünen traten historisch als Antithese zur alten Parteibuchwirtschaft auf – mit Forderungen nach Transparenz, Antikorruption und einer „sauberen“ Politik. Umso größer war der Anspruch der Grünen, Klientelismus zu bekämpfen. Tatsächlich waren die Grünen bis 2019 nie in der Bundesregierung und konnten daher auch keine eigenen Netzwerke im Staatsapparat etablieren. Erst mit dem Eintritt in die Koalition mit der ÖVP (Jänner 2020) standen sie vor dem Dilemma, einerseits an ihren Idealen festhalten zu müssen, andererseits die Realpolitik des Machtteilens mitzutragen. Vizekanzler Werner Kogler betonte zwar immer, man wolle „aufdecken statt zudecken“. Doch die 2022 publik gewordenen Sideletter-Absprachen der türkis-grünen Koalition setzten das grüne Image schwer unter Druckorf.at. Ausgerechnet die Grünen, die 2019 im Wahlkampf mit Slogans wie „Wen würde der Anstand wählen?“ auftraten, hatten ebenfalls ein geheimes Zusatzpapier unterschrieben, das minutiös Postenvergaben und Einflussbereiche zwischen ÖVP und Grünen regelteexxpress.atexxpress.at. So wurde festgelegt, dass z.B. im ORF-Stiftungsrat die ÖVP fünf Mitglieder, die Grünen zwei Mitglieder nominieren dürfenexxpress.at. In der Nationalbank sollte 2023 der Präsident von der ÖVP gestellt werden, die Vize-Präsidentin von den Grünenexxpress.at. Weitere Personaldeals betrafen den Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof und den Bundesfinanzgerichtshofexxpress.at. Mit anderen Worten: Auch die Grünen beteiligten sich am koordinierten Postenschacher, den sie zuvor so laut kritisiert hatten.
Die öffentliche Resonanz darauf war allerdings zweigeteilt. Während der bekannt gewordene FPÖ-ÖVP-Sideletter von 2017 ein großes Medienecho und Empörung auslöste, stieß der aktuellen Grün-ÖVP-Sideletter (2020) auf vergleichsweise weniger Interesseexxpress.at. Die Grünen selbst versuchten, die Absprachen als notwendiges Übel darzustellen. Werner Kogler rechtfertigte die geheimen Vereinbarungen ausdrücklich: “Wenn man verhindern will, dass die türkise ÖVP alle Positionen besetzt, braucht man als kleinerer Koalitionspartner eine Vereinbarung, wie vorzugehen ist. Das halte ich für wichtig und notwendig.”exxpress.at. Mit anderen Worten: Kogler räumte ein, ohne Sideletter würde die ÖVP überall ihre Leute einsetzen – daher habe man im Sinne des Machtgleichgewichts selbst Ansprüche angemeldet. Dieser Pragmatismus mag realpolitisch verständlich sein, beschädigte aber das Ideal der Grünen von Transparenz erheblich. Politologen wie Kathrin Stainer-Hämmerle urteilten, für die Grünen sei die Sideletter-Affäre ein “Imageschaden”, weil sie eines ihrer Leuchtturmprojekte – die Sauberkeit der Politik – kompromittiereorf.at. Grünen-interne Kritiker sprachen von einem Vertrauensbruch, etwa als bekannt wurde, dass Kogler im Sideletter einem Kopftuchverbot an Schulen zugestimmt hatte, was der grünen Basis eigentlich zutiefst widerstrebteorf.at.
Nichtsdestotrotz nutzten die Grünen ihre Regierungsbeteiligung auch, um gewisse Missstände anzugehen. So besteht etwa das Justizministerium seit 2020 unter grüner Führung (Alma Zadić). Die Grünen betonen, dass dadurch Einflussnahmen, wie sie unter ÖVP-Justizministern vermutet wurden, reduziert würden. Tatsächlich stärkte Ministerin Zadić die Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA und verteidigte deren Unabhängigkeit gegen Angriffe aus der ÖVP. Ein Konfliktpunkt war 2021 die Causa Blümel: Die WKStA erwirkte eine Hausdurchsuchung bei ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel, was zu offenem Unmut in der ÖVP führte – doch die grüne Justizministerin stellte sich vor die Ermittler. Hier prallten erstmals öffentlich zwei Welten aufeinander: die alte ÖVP-„Freunderlwirtschaft“ in ministeriellen Ermittlungsverfahren und der grüne Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit. Die Zusammenarbeit im Justizressort war entsprechend angespannt, Pilnacek – der mächtige Sektionschef – wurde 2021 suspendiert (unter tatkräftiger Mithilfe Zadićs), weil Chats und Vorwürfe ihn belasteten, Ermittlungen behindert zu haben.
Apropos Christian Pilnacek: Dessen Causa zeigt das grüne Dilemma. Pilnacek galt als bestens vernetzt in Justiz und Politik (vor allem zur ÖVP)katapult-magazin.dekatapult-magazin.de. Er soll in der Vergangenheit etwa Verfahren (z.B. Eurofighter-Ermittlungen gegen die ÖVP) verzögert oder Informationen weitergegeben habenkatapult-magazin.de. Unter Grün-Ministerin Zadić wurde er zwar kaltgestellt – doch 2023 starb Pilnacek überraschend. FPÖ-Generalsekretär Hafenecker mutmaßte nun, sein Tod (offiziell Suizid) könne Teil einer Vertuschung sein, und rügte, es habe keine Obduktion oder Spurensicherung gegebendiepresse.comdiepresse.com. Diese indirekte Unterstellung eines „Justizkomplotts“ wiesen die Grünen zwar zurück, doch aus den Reihen der Grünen wurde ebenfalls Aufklärung verlangt: Klubvizechefin Sigrid Maurer meinte, es gebe „Fragen, die sehr wohl Aufklärung bedürfen“, etwa warum keine forensischen Standardmaßnahmen im Fall Pilnacek ergriffen wurdendiepresse.com. Hier zeigt sich: Die Grünen versuchen, trotz Regierungsdisziplin, ihrer Rolle als Aufdecker gerecht zu bleiben – was in Koalition mit einer machtbewussten ÖVP schwierig ist.
Auf der anderen Seite haben die Grünen mittlerweile selbst Personen in hohe Positionen gebracht, was ihnen der politische Gegner als Umfärbung auslegt. Laut einem (kritisch gefärbten) Bericht des Exxpress hatten die Grünen binnen 15 Monaten Regierungszeit bereits 13 Top-Jobs in staatsnahen Betrieben mit Parteifreunden besetzt – sogar eine grüne Kochbuch-Autorin erhielt einen Aufsichtsratsposten bei der Brenner-Basistunnel-Gesellschaftexxpress.at. Auch wenn diese Darstellung polemisch ist, stimmt es, dass Regierungsbeteiligung zwangsläufig auch Personalpolitik bedeutet. Das wirft für die Grünen ein Spannungsfeld auf zwischen Moralanspruch und politischer Realität. NEOS-Generalsekretär Hoyos geißelte die Sideletter-Praxis der Grünen als „zutiefst ungustiöses Machtdenken“ und das „genaue Gegenteil von sauberer und anständiger Politik“exxpress.at. Er sprach von „Postenschacher in Reinkultur“ und attestierte Österreich eine schwere Krankheit namens Korruptionexxpress.at. Diese Kritik traf die Grünen empfindlich, mussten sie doch eingestehen, Teil des Systems geworden zu sein, das sie früher bekämpften.
Zusammengefasst sind die Grünen im öffentlichen Diskurs nicht primär als treibende Kraft eines „tiefen Staates“ verschrien, wohl aber werden sie an ihrem eigenen Maßstab gemessen. Ihre Mitwirkung an intransparenten Postenabsprachen hat die Glaubwürdigkeit beschädigt. Jedoch haben sie auch Initiativen gesetzt, um die Verwaltung zu entpolitisieren (etwa beim neuen Informationsfreiheitsgesetz, das lange von der ÖVP verzögert wurdeorf.at). Die volle Umsetzung dieser Transparenzprojekte steht allerdings aus (bis 2025 wurden weder das versprochene neue Parteiengesetz noch das Informationsfreiheitsgesetz beschlossenorf.atorf.at, teils wegen Widerstands ÖVP-geführter Bundesländer). Somit bleibt abzuwarten, ob die Grünen nachhaltig Strukturen ändern oder ob sie – wie Kritiker argwöhnen – letztlich Teil des etablierten Systems geworden sind.
NEOS: Liberalismus, Aufdeckung und Kritik am „System“
Die NEOS (Das Neue Österreich und Liberales Forum), seit 2013 im Parlament, hatten bislang keine Möglichkeit, selbst einen „Staat im Staat“ zu errichten – sie waren bis dato an keiner Bundesregierung beteiligt. Vielmehr profilieren sie sich als Anti-Korruptions- und Transparenzpartei, die gegen die alten parteipolitischen Verflechtungen zu Felde zieht. NEOS-Politiker gebrauchen Begriffe wie „tiefer Staat“ selbst selten; sie sprechen lieber vom „aufzubrechenden System“. Dieses „System“ meint das jahrzehntelange rot-schwarze Patronagenetz. NEOS-Gründer Matthias Strolz prangerte einst an, ÖVP und SPÖ hätten die Republik „über Jahrzehnte in die Krallen der Parteibuchwirtschaft genommen“ – es gebe in diesem Land vom Portier bis zum Sektionschef kaum einen Posten, der nicht nach Parteibuch vergeben werde (so sinngemäß in einer Parlamentsrede 2018).
Entsprechend sehen die NEOS ihre Rolle darin, diese Verkrustungen offenzulegen. Parlamentarische Anfragen und U-Ausschüsse sind dabei zentrale Werkzeuge. So waren NEOS-Abgeordnete federführend an der Aufdeckung des BMI-Chats-Skandals beteiligt: Die NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper etwa arbeitete im BVT-Untersuchungsausschuss 2018/19 und im Ibiza-Ausschuss 2020/21 intensiv an der Befragung von Auskunftspersonen, oft in Koordination mit der Opposition. Auch beim laufenden ÖVP-Korruptionsausschuss (2022–2023) spielen NEOS eine aktive Rolle; sie betonen immer wieder die institutionellen Schäden, die durch politische Einflussnahme entstehen. So kommentierte NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos angesichts der enthüllten Kloibmüller-Chats: “Das ist schädlich für die Demokratie als solche.”tagesspiegel.de und nannte Sobotkas Verstrickung in die Postenabsprachen einen Rücktrittsgrundtagesspiegel.de. NEOS traten auch als erste vehement für ein Ende des “Geheimnisstaates” ein – sprich für ein Informationsfreiheitsgesetz, das Amtsgeheimnisse abschafft. Sie kritisieren, dass sowohl ÖVP als auch SPÖ dieses Gesetz seit Jahren verschleppenorf.atorf.at.
Auf Länderebene hatten NEOS nur in Wien Regierungsverantwortung (2020–2025 in Koalition mit der SPÖ). In Wien übernahmen die NEOS vor allem das Bildungs- und Transparenzressort. Dort drängten sie auf Offenlegung städtischer Finanzen und Reduktion der Inseratenausgaben (mit einigem Erfolg, siehe oben: ~10 Mio.€ Einsparung bei Medienkooperationen laut Vereinbarung)wien.gruene.at. Dennoch wurden sie auch in Wien Teil der Realpolitik: als Juniorpartner konnten sie das große Rad (z.B. Posten in Stadtbetrieben) nicht allein drehen. Ein kleiner Reputationskratzer für NEOS war 2021 eine aufgedeckte Großspende von 2018: Die Milliardärin Heidi Horten (Witwe des ex-DDR-Kaufhauskönigs) hatte NEOS €100.000 gespendet, was Debatten um Einfluss reicher Gönner auslöste. NEOS verwiesen jedoch auf ihre freiwillige Transparenz (sie veröffentlichten als erste alle Spenden online) und bestritten jede Gegenleistung.
In der öffentlichen Wahrnehmung stehen die NEOS somit eher auf der Seite der Aufklärer und Mahner, weniger als Teil eines “tiefen Staates”. Sie sind jedoch auch eine relativ junge Kraft und hatten bislang kaum Gelegenheit, personelle Netzwerke im Staatsapparat zu entwickeln – was manchen Wählern gerade sympathisch ist. NEOS selbst propagieren “Entparteipolitisierung” des Staates: Positionen sollen nach Qualifikation statt Parteibuch besetzt, staatliche Aufträge nicht nach Medientreue vergeben werden. In gewissem Sinne kämpfen die NEOS also gegen Erscheinungsformen, die man als “tiefen Staat” bezeichnen könnte. Allerdings agieren sie pragmatisch: Im Falle einer zukünftigen Regierungsbeteiligung wird sich zeigen, ob sie dieser Linie treu bleiben oder ob – wie bei den Grünen – die Logik der Macht Kompromisse erzwingt.
Rolle von parteinahen Medien, Thinktanks und NGOs
Ein wichtiger Aspekt in der Debatte um den “tiefen Staat” ist die Verflechtung von Politik mit Medien sowie mit halbstaatlichen Organisationen (Kammern, Verbänden, NGOs). Solche Akteure sind nicht direkt gewählte Institutionen, können aber erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politikgestaltung nehmen. Dies führt in populistischen Narrativen oft zur Behauptung, es gebe “dunkle Hintermänner” außerhalb der demokratischen Kontrolle – tatsächlich handelt es sich meist um offen agierende Interessenvertretungen, deren Einfluss aber intransparenter sein kann.
Medien: In Österreich wird seit langem kritisiert, dass sich Regierungen Wohlverhalten von Medien erkaufen – sprich: dass Boulevardzeitungen gefügig gemacht werden, indem man ihnen hohe Summen an Inseraten zahlt. Dieses Phänomen der Inseratenkorruption betrifft sowohl SPÖ als auch ÖVP. Ein früher Skandal war die Faymann-Inseratenaffäre (2009–2011), bei der dem SPÖ-Kanzler (damals Infrastrukturminister) vorgeworfen wurde, übermäßig viele Werbeanzeigen in der Kronen Zeitung und Heute geschaltet zu haben, um freundliche Berichte zu erlangen. Später wurde das Verfahren eingestellt, doch der Eindruck blieb haften. In jüngerer Zeit kam ans Licht, dass auch die Kurz-ÖVP dieses Instrument nutzte: Manipulierte Umfragen wurden in der Zeitung Österreich platziert und mit Steuergeld finanziertkontrast.atkontrast.at. Chats belegen, dass das Finanzministerium Inseratenbudgets gezielt als “Währung” für positive Berichterstattung einsetztekontrast.at. Dieses engmaschige Zusammenspiel zwischen politischer Kommunikation und kommerziellen Medienhäusern ist ein Eckpfeiler dessen, was manche als österreichische Variante eines “tiefen Staates” sehen – also eine Allianz aus Politik und begünstigten Medien im Hintergrund. Parteinahe Medien im engeren Sinn gibt es ebenfalls: Die FPÖ unterhält das Onlinemedium Unzensuriert.at und das Magazin Info-DIREKT, die offen die Parteilinie stützen und teils Verschwörungsthesen verbreiten. Die SPÖ betreibt das Newsportal kontrast.at, das investigative Artikel oft mit klar sozialdemokratischer Stoßrichtung veröffentlicht (so z.B. Zusammenfassungen der Schmid-Aussagenkontrast.atkontrast.at). Auch die ÖVP-nahe Politische Akademie und Vorfeldorganisationen publizieren Schriften (z.B. das Magazin zur Sache). Zwar sind diese Medien an sich legitim, doch in Summe verstärken sie den Eindruck eines medialen Ecosystems entlang der Parteigrenzen. Populistische Akteure stellen dies gerne verzerrt als “gesteuerte Lügenpresse” dar – realer ist jedoch: jede Partei versucht, Meinungsmacht zu erlangen, sei es über direkte Medienbeteiligungen (wie die SPÖ in Wien an der Wiener Zeitung bis 2023) oder über Einfluss auf öffentliche Sender (ORF) via Stiftungsrat und Regierung.
Bezeichnend ist der Ibiza-Skandal 2019: Im heimlich gefilmten Gespräch fantasierte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache davon, die einflussreiche Kronen Zeitung zu kaufen, um die politische Landschaft zu dominieren – und er unterstellte, österreichische Medien seien ohnehin “die größte Hure der Welt”, da sie käuflich seien. Diese zynische Aussage (wenn auch von einer dubiosen Szene) zeigt, wie Politiker selbst den Einfluss informeller Netzwerke in Medien einschätzen. Straches Aussagen und spätere Enthüllungen legten offen, dass Politiker aller Lager mit Medienmachern paktierten (Chats z.B. zeigen, wie ÖBAG-Chef Schmid intime Kontakte mit Krone-Kolumnisten pflegte oder wie ein Novomatic-Mann versuchte, bei Kurier Stimmung zu machen). All dies verschwimmt für manche Beobachter zum Bild eines Parteien-Medien-Komplexes, der den demokratischen Wettbewerb verzerrt.
Thinktanks und Vorfeldorganisationen: Nahezu jede Partei verfügt über befreundete Denkfabriken oder Vereine, die Expertise liefern und Meinung bilden. Diese Institutionen agieren meist außerhalb staatlicher Kontrolle, können aber Politik indirekt stark beeinflussen. Zum Beispiel gilt die wirtschaftsliberale Denkfabrik Agenda Austria – finanziert von Industriellen – als nahe der ÖVP und veröffentlichte Studien, die marktwirtschaftliche Reformen propagierten. Linke Medien warfen Agenda Austria vor, bewusst den öffentlichen Diskurs nach rechts zu verschieben zugunsten der Geldgeberkontrast.at. Auf der anderen Seite existieren NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppen, die eher SPÖ/Grüne-Anliegen vertreten (Umweltschutz, Menschenrechte). Der März – eine rechtskonservative Quelle – argumentiert etwa, die Politik habe sich “externe Akteure herangezüchtet”, die abseits von Wahlen Politik machendermaerz.atdermaerz.at. Als Beispiel wird die Asylpolitik genannt: Aufgrund hoher Flüchtlingszahlen seien private Vereine, Berater, Lobbyisten eingesprungen und hätten eine “Asylindustrie” gebildet, die unabhängig vom Wählerwillen eine tendenziell linke Migrationspolitik fortführedermaerz.at. Aus dieser Perspektive würden also linke NGOs und karitative Organisationen (Caritas, Diakonie etc.) einen “tiefen Staat” bilden, der konservative Regierungswechsel unterläuft. Tatsächlich gerieten etwa die kirchliche Caritas und andere Flüchtlingshilfsorganisationen unter der rechts-konservativen Kurz/Strache-Regierung 2018 in die Kritik: FPÖ-Politiker bezeichneten sie abfällig als Teil der „Willkommens-Industrie“, die am Asyl verdiene. Herbert Kickl strich als Innenminister Subventionen für manche NGO-Projekte zusammen, was diese als politisch motiviert brandmarkten. Hier prallen Ideologien aufeinander: Für Liberale sind NGOs Ausdruck einer lebendigen Zivilgesellschaft, für Rechte mitunter ein Tarnmantel für Politik mit anderen Mitteln.
Auch halböffentliche Verbände wie die Wirtschaftskammer (ÖVP-nah dominiert) oder die Arbeiterkammer (SPÖ-nahe) spielen in Österreichs politischem Gefüge eine besondere Rolle. Sie haben per Gesetz Mitsprache in Gesetzgebungsverfahren (Sozialpartnerschaft) und verfügen über Pflichtmitgliedschaften und Budgets. Manche sehen darin quasi einen „Staat im Staat“, da Kammern eigene Apparate besitzen, die Politikentwürfe erarbeiten. Es kursiert etwa der Spruch: “Die Wirtschaftskammer ist das mächtigste Ministerium.” Allerdings ist dies Teil des formalen Systems, nicht verborgen.
Schließlich darf man die Bünde und Vorfeldorganisationen innerhalb der Parteien nicht vergessen: Bei der ÖVP sind das z.B. Bauernbund, Wirtschaftsbund, Seniorenbund – sie sichern der Partei gesellschaftliche Verankerung, aber manchmal auch undurchsichtige Finanzflüsse (so musste 2022 der ÖVP-Wirtschaftsbund Vorarlberg wegen illegaler Parteispenden über Inseratengeschäfte einräumen, Geld an die Partei transferiert zu haben). Bei der SPÖ gelten der Verband Sozialistischer Studenten oder der Pensionistenverband als wichtige Vorfeldorganisationen, die Ressourcen kontrollieren. Und die FPÖ rekrutiert viele Kader aus den schlagenden Burschenschaften, was ein eigenes Netz mit historischer Kontinuität bildet. Solche Strukturen tragen zum Eindruck eines über Parteigrenzen gespannten Patronagenetzes bei, auch wenn jede Partei ihr “eigenes Biotop” hat.
Kurzum: Medien, Thinktanks und NGOs beeinflussen die Wahrnehmung des „tiefen Staates“ erheblich. Parteinahe Medien und Publikationen können Verschwörungserzählungen entweder anheizen oder entkräften. So nutzen rechtspopulistische Blogger den Begriff, um Mainstream-Medien als Teil des Komplotts zu diffamieren. Gleichzeitig legen investigative Magazine (wie Falter oder Dossier) tatsächlich existierende Seilschaften bloß, ohne jedoch von einem zentral gesteuerten Tiefen Staat zu sprechen. Die breite Masse der Bevölkerung bekommt von diesen Debatten oft nur Schlagworte mit – was die Gefahr birgt, pauschal das Vertrauen in alle Institutionen zu verlieren, wenn immer nur Skandale und Heimlichkeiten kommuniziert werden.
Unterschiedliche Deutungen: Populismus, Verschwörungstheorien und Systemkritik
Der Begriff „Tiefer Staat“ ist in Österreich – ähnlich wie international – zum vieldeutigen Kampfbegriff geworden. Seine Interpretationen reichen von sachlicher Systemkritik bis hin zu kruden Verschwörungstheorien:
- Populistische Deutung (FPÖ und andere): Für die Freiheitlichen ist „tiefer Staat“ zu einem politischen Schlagwort geworden, um dem Gegner (aktuell v.a. der ÖVP) Machtmissbrauch vorzuwerfen. FPÖ-Chef Herbert Kickl und Generalsekretär Hafenecker nutzen das Narrativ, die ÖVP habe Staat und Institutionen “durchsetzt” und übe im Hintergrund “absolute politische Gewalt” ausdiepresse.comdiepresse.com. Indem die FPÖ einen U-Ausschuss zum “schwarzen tiefen Staat” fordert, stellt sie sich als Kämpferin gegen ein korruptes Establishment dardiepresse.comdiepresse.com. Diese populistische Rhetorik hat teils strategische Gründe: Sie lenkt den Fokus auf die Verfehlungen der Konkurrenz und mobilisiert das eigene Wählerklientel mit dem Gefühl, gegen ein übermächtiges System Kurz/ÖVP zu kämpfen. Gleichzeitig weist die FPÖ empört zurück, dass „tiefer Staat“ ein rechtsextremer Code seidiepresse.comdiepresse.com. FPÖ-Vertreter wie Dominik Nepp versuchen den Begriff im österreichischen Kontext als etwas bodenständigeres zu definieren – nämlich als gewöhnliche Freunderlwirtschaft: Nepp sprach davon, es gehe um “Führungskräfte, die glauben, sie können sich alles richten“diepresse.comdiepresse.com. Damit wird der mystische Klang etwas geerdet und anschlussfähig für berechtigte Unmutsäußerungen vieler Bürger, die sich von parteipolitischem Postenschacher abgestoßen fühlen.
- Verschwörungstheoretische Deutung: Jenseits der seriösen Politik kursiert der “Deep State” auch in kruden Varianten. Im Gefolge von QAnon und internationalen Verschwörungsthesen gibt es eine kleine Szene in Österreich (etwa im Umfeld der Reichsbürger oder radikaler Corona-Leugner), die an einen geheimen, globalen Tiefen Staat glaubt – mit satanistischen Eliten, die die Demokratie nur als Fassade benutzen. Solche extremen Theorien sind hierzulande marginal, fanden aber im Zuge der Pandemie-Demos 2020/21 etwas Zulauf. Einige Redner auf Anti-Impfkundgebungen fantasieren von einer “Weltregierung” oder davon, dass Österreich gar kein souveräner Staat sei, sondern von fremden Mächten (EU, “Globalisten”) gelenkt werde. Diese Leute unterscheiden oft gar nicht zwischen Staat und tiefem Staat – sie halten das ganze System für illegitim. Der Verfassungsschutz beobachtet derlei Tendenzen, stuft sie aber derzeit als randständig ein. Dennoch schüren selbst gemässigtere Politiker manchmal dieses Feuer: Als etwa FPÖ-Mandatare 2022 das Narrativ verbreiteten, die Impfpflicht sei Ergebnis eines “Pharmakartells” in Ministerien, klang das nach Verschwörung. Auch Donald Trumps Verwendung des Begriffs hat via mediale Resonanz die FPÖ beeinflusst – Kickl etwa kokettierte damit, es gäbe in Österreich ebenso “nicht gewählte Bürokraten”, die gewählte Politiker (wie einst ihn als Innenminister) sabotieren würden, ähnlich Trumps Darstellung vom US-“deep state”diepresse.comdiepresse.com. Solche Vergleiche sind gefährlich, da sie das Vertrauen in die Beamtenschaft und Justiz unterminieren.
- Kritisch-analytische Deutung (“Systemkritik”): Jenseits von Polemik gibt es natürlich auch eine realistische Analyse, die ohne Verschwörungsdenken auskommt. Viele Journalisten, Wissenschafter und engagierte Bürger verwenden nicht unbedingt das Wort “tiefer Staat”, erkennen aber die strukturellen Probleme: nämlich die Überlappung von Parteipolitik und Staatsfunktionen, die zu Korruption und Ineffizienz führt. Sie fordern daher Reformen, z.B. objektive Bestellungsverfahren für Richter und Staatsunternehmensvorstände (unabhängige Kommissionen statt Parteidisposition)orf.atorf.at. Sie verlangen transparente Vergabe von Inseraten und Förderungen, um geheime Deals zu verhindernorf.at. Diese Akteure – etwa die Initiative des Anti-Korruptionsvolksbegehrens 2021, Experten wie Hubert Sickinger oder Profil-Journalist Josef Redl – sprechen nüchtern von “Parteienmacht” und “fehlendem Regulativ”orf.atorf.at, wenn alle großen Parteien beim Postenschacher mitmachen. Ihr “Feindbild” ist nicht ein finsterer Geheimbund, sondern ein System kollektiver Intransparenz. Die FPÖ greift einige dieser Kritikpunkte auf, vermischt sie aber mit eigenen Ressentiments. Umgekehrt zögern manche, berechtigte Kritik am Parteienfilz zu üben, aus Angst, dem Narrativ vom “tiefen Staat” Vorschub zu leisten. Es ist also ein Balanceakt: Das Kind (Kritik) nicht mit dem Bade (Verschwörung) auszuschütten.
Abschließend lässt sich feststellen, dass der Diskurs über den tiefen Staat in Österreich selbst Teil des politischen Kampfes geworden ist. Was für die einen eine Verschwörungstheorie ist, ist für die anderen eine Metapher für real existierende Machtkartelle. Der FPÖ-Antrag im Nationalrat (Mai 2025), einen “ÖVP-Tiefenstaat”-U-Ausschuss einzusetzen, wurde von SPÖ, Grünen und NEOS denn auch scharf als “wilder, populistisch durchgewürfelter” Themenmix kritisiertdiepresse.comdiepresse.com. SPÖ-Abgeordneter Maximilian Köllner warf Kickl Heuchelei vor: “Wenn sich Kickl über Machtmissbrauch beklagt, dann ist das so, als würde sich ein Einbrecher über Diebstahl beschweren.”diepresse.com. Damit spielte er darauf an, dass die FPÖ selbst – etwa in Ibiza oder im BVT-Fall – Machenschaften an den Tag legte. Grüne und NEOS wiederum monierten, die FPÖ vermenge Corona-Aufarbeitung mit Pilnacek-Causa und Innenministerium, ohne klare Liniediepresse.com. Ungeachtet dieser politischen Theaterdonner gilt aber: Österreich hat real mit den Auswüchsen parteipolitischer Einflussnahme zu kämpfen. Ob man dies als „tiefen Staat“ brandmarken will oder nicht, die Beispiele der letzten Jahre (von Lucona über Ibiza bis Sideletter) zeigen die Notwendigkeit, den Staat unabhängiger, transparenter und rechtsstaatlicher zu machen. Nur so kann das Vertrauen der Bürger gestärkt werden, dass der Staat nicht von versteckten Händen gelenkt wird, sondern von demokratisch Gewählten im Interesse der Allgemeinheit.
Quellen und Zeitpunkte: Die obigen Ausführungen stützen sich auf zahlreiche Medienberichte und Dokumente: etwa Berichte vom April/Mai 2025 über die FPÖ-Initiative gegen den „tiefen Staat“diepresse.comdiepresse.com; Analysen vom Frühjahr 2022 zur Sideletter-Affäre (ORF, 4. Feb. 2022)orf.atorf.at; Enthüllungen aus dem „BMI-Chats“-Skandal (Tagesspiegel, 18. Feb. 2022)tagesspiegel.detagesspiegel.de; investigative Recherchen zu geheimen Koalitionsabsprachen (ORF/profil, Jan. 2022)orf.atorf.at; historische Analysen (TAZ, 26. Jan. 1989, zur Lucona-Affäre)taz.de; sowie Aussagen von Schlüsselzeugen wie Thomas Schmid (Kronzeugengeständnis, 2022–2024)kontrast.atkontrast.at. Diese Quellen spiegeln einen breiten Zeitraum von den späten 1970ern bis in die Gegenwart (2025) wider und dokumentieren, wie parteipolitisch beeinflusste Netzwerke in Österreich immer wieder Gegenstand von Skandalen, Untersuchungen und öffentlichen Debatten waren. Die Diskussion über den „tiefen Staat“ wird – je nach politischer Lage – wohl weitergehen, doch letzten Endes ist sie ein Ausdruck der Sehnsucht nach guter, unparteiischer Regierungsführung in einem Land, das lange von Proporz geprägt war. Jede konkrete Enthüllung kann helfen, den Schleier zu lüften – und idealerweise zu Reformen führen, die dem System der packeleienden Hinterzimmer ein Ende bereiten. Nur dann hätte der „tiefe Staat“ als Schlagwort irgendwann ausgedient. diepresse.comdiepresse.com
Quellen